Mein liebes theures Lies!
Es ist Ihnen beym Anblicke dieser Zeilen wohl zu Muthe, als hörten Sie eine Stimme aus der andern Welt. So schlimm ist es indessen nicht; ich bin lebendig und leide wenig, aber schwach, schwach!
Jetzt ist es fast ein Jahr, daß ich meine Spiegeley nicht anders verlasse, als um bis zur grünen Bank auf dem Hofe zu schleichen. Mein Gehen ist so gut wie gar nichts mehr. Schreiben bringt mich nach wenigen Zeilen einer Ohnmacht nahe. Lesen darf ich nur mit großer Vorsicht ab und zu ein kleines Gedichtchen, oder einen kurzen Zeitungsartikel. Im übrigen ist mein Schlaf, wenn nicht gut, doch zur Notdurft hinreichend, Appetit dito; fieberhafte oder schmerzliche Zustände nicht vorhanden; Stimmung heiter; Aussehen ganz erträglich; und endlich der langen Rede kurzer Sinn, daß nach der Aussage aller meiner Aerzte (ich bin jetzt schon in den Händen des Dritten) durchaus nicht krank seyn soll, nicht mahl nervenleidend, sondern nur grenzenlos nervenschwach. Und dieser miserable Zustand (sein Anfang liegt in meiner zu frühen Geburt, seine gegenwärtige Steigerung in meinen fünfzig Jahren) soll mehrere Jahre, in denen ich nur vegetiren darf, anhalten, und dann? Nun, dann soll hintennach Alles charmant und mir Gesundheit (soweit die Altersschwäche), Denkfreyheit (so weit die Altersstumpfheit) und sogar die Erlaubniß zu schreiben (soweit die Grosmamas Brille es erlaubt) zu Theil werden. Sind das nicht glänzende Aussichten?
Zudem glaube ich nicht mahl daran, nicht mehr als an den Juden-Messias. Aber das glaube ich selbst, daß unter günstigen Umständen (d. h. wenn ich mich behandle wie eine Seifenblase oder ein weiches Ey und kein Unglück von Außen auf mich einstürmt) die Geschichte sich noch lange, lange hinspinnen kann. Doch wie Gott will! Ich bin jede Stunde bereit und meinem Schöpfer sehr dankbar, daß er mir durch das beständige Gefühl der Gefahr einer vollkommene Befreundung mit dem Tode, sowie, durch eben dieses Gefühl, eine doppelt innige und bewuste Freude an allen, auch den kleinsten Lebensfreuden, die mir noch zu Theil werden, gegeben hat.
Sie dürfen deshalb nicht meinen, mein liebes liebstes Herz, als ob Ihr Brief und Ihre lieben Geschenke mir weniger Freude gemacht hätten als sonst. Sie haben mich mehr als gefreut, tief gerührt, aber antworten konnte ich nicht und hatte auch Niemanden, der es statt meiner gethan hätte. Jenny litt wieder wochenlang, und mein Mütterchen war durch Sorge um uns Beyde so angegriffen und nervenschwach, daß ich nicht weiß, wen von den beiden armen Seelen ich am unliebsten hätte anstrengen mögen, und von den Kindern ist, in dieser Art, noch gar nichts zu haben.
Es sieht mit ihrem Schreiben noch erbärmlich aus; langsam wie Schnecken, und dann Krähenfüße und vier Wörter auf die Zeile; Jenny läßt sie alle ihre Zeit auf jene Unterrichtsstunden verwenden, zu denen die Gelegenheit vorübergehend, oder auch wegen zu großer Kosten vielleicht in späteren Jahren nicht durchhaltend zu benutzen wäre. So sind sie schon recht hübsch voran im Zeichnen, Klavier, Französischen et cet. und recht schmählich zurück in allem Nothwendigerem, aber allerdings unter Jennys eigner Leitung leicht Nachzuholendem.
Ach, Lies, es ist recht betrübt, daß wir wirklich bereits genöthigt sind, in allen Dingen Vorbereitungen auf eine Zeit zu treffen, an die wir so ungern denken mögen, aber der gute Laßberg nimmt gar zu sichtlich ab, und alles Körperliche an ihm, Gesicht, Gehör, Gedächtnis, Muskelkraft, alles geht jetzt mit seinen 77 Jahren gleichen Schritt, wo nicht noch etwas vor; nur sein Geist und seine Heiterkeit haben keine Abnahme erlitten oder erleiden höchstens nur momentane, wenn er sich, wie man zu sagen pflegt, mahl so recht selbst fühlt. (…)
Aber den Winter hindurch hatten sich leider bei Jenny und mir mehrere Zustände eingestellt, mit deren Beschreibung ich keine Langeweile verursachen will. Gottlob! dass es vorüber ist.
Brief an Friedrich von Brenken, 6. Mai 1847
Ach, wie leide ist mir’s doch, dass alle so krank waren. Gott gebe, dass Ihre liebe Frau Schwester sich jetzt der Gesundheit erfreut, welche ihr von so vielen gewünscht wird. Wer sie kennt, dem muss ihr einfaches, bescheidenes Wesen die größte Hochachtung und Liebe einflößen. Ich liebe Ihre Frau Schwester sehr, glauben Sie mir, dass ich für sie und für Ihnen alle oft bete, denen ich tiefen Dank immer schuldig bleiben werde; denn Ihre ganze Familie hat mich von Anfang mit einer mir unvergesslichen Güte empfangen.
Als mich mein Vater zum ersten Male nach Meersburg führte, war ich in einer betrübten Stimmung, ich fühlte mich verlassen und verwaist, wie ich’s nicht beschreiben kann; denn erst sechs Wochen vorher war meine Mutter weg gereist – ich hatte schon damals wenig Hoffnung ihrer Wiederkehr – meine Mutter, von der ich nie in meinem Leben auf mehr denn Tage lang war getrennt worden! Ich hatte die Zeit über voll Kummer verlebt und zwar ohne viel Trost, denn meine Begriffe in religiöser Hinsicht waren sehr verworren. Ich war scheu geworden und erwartete von der ganzen Welt nichts mehr; da wirkte, die herzliche Aufnahme die mir im alten Schloss zuteil ward, das gefühlvolle im Benehmen Ihrer Schwester – dass so mächtig ein Leid wenn auch ein unbekanntes zu lindern vermag, – wie Sonne auf Eis. Der Missmut, – wenn schon nicht der innere Kummer – schmolz weg, Gott führte mich gerade zu Leuten die ich achten und lieben konnte. Es bleibt mir so frisch in der Erinnerung dieser Zeitpunkt meines Lebens. Mit jugendlichem Leichtsinn hatte ich so in die Welt hineingelebt, mein Herz war durch manche Eitelkeiten verhärtet und bedurfte eines durchdringenden Kummers, es mürbe und für ein Besseres empfänglich zu machen. In den Bildern der Vergangenheit erkennt man erst recht die große Barmherzigkeit Gottes und wie stärkt doch diese Erkenntnis das Vertrauen auf Ihn, dass er uns in Zukunft auch zu unserem Heil führen werde!
Ihre liebe Frau Mutter ist wieder auf, wollen Sie ihr doch meine freundschaftlichsten Grüße darbringen. Herr von Laßberg schreibt mir, dass Ihre Gesundheit beinahe wieder hergestellt sei und gottlob! ich finde diese gute Nachricht auch in Ihrem Briefe bestätigt. Schonen Sie sich aber jetzt erst recht, dem Frühjahr darf man nicht zu sehr trauen, die Ausdünstungen der Erde sind in diesem Monate keineswegs gesund, daher das Spazierengehen allen abzuraten ist – wenn schon das Wetter so verführerisch schön ist.
Augsburg, März 1847
Du lieber Gott! Sie kennen ja die Onkelschaft!
Aus einem Brief an Adele Schopenhauer vom 26. Juni 1847, in dem Schücking sich beklagt, er habe seit dem Erscheinen seines Romans „Die Ritterbürtigen“ nichts mehr von der Droste gehört.
Wären die Onkels und Ebenbürtigen schuld an ihrem [literarischen] Verstummen, es wäre hart. Kaum glaube ich’s.
Aus dem Antwortbrief an Schücking vom 24. Juli 1847