Mama will schon in zwey Stunden abreisen, und ich habe noch nicht zum Schreiben kommen können, liebe Jenny, da ich an Herrn Eckel und Onkel Fritz habe schreiben müssen, mein Trost ist nur, daß Dir Mama Alles erzählen wird – ich habe Zahnweh heute, Zahnweh morgen, und
Zahnweh alle Tage, es ist unausstehlich! – glaub mir es nur, liebe Jenny, ich habe nicht schreiben können– denk Dir nur! 4 Monate ohne Aufhören Zahnweh und Gesichtsschmerzen! ich kann Dir sagen daß es mir so schwer, ja fast unmöglich war zu schreiben, daß ich mich, trotz allem Elend, nie zu den Briefen an Böninghausen entschließen konnte, weil das Bücken des Kopfs mir, schon in den ersten Minuten, die Schmerzen so vermehrte, daß ich aufhören muste, und, was das Schlimmste war, der Schmerz hielt dann oft Stundenlang so heftig an – seit vor-vorgestern hat es sich nun in den Hinterkopf und Nacken gezogen, – alle Tage etwas mehr aus dem Gesichte heraus dahin, so daß ich, seit einigen Stunden gar keine Schmerzen im Gesicht habe, aber freylich sehr im Nacken, was mir aber ganz golden dagegen vorkömmt, —
Liebe Jenny, es ist wohl betrübt daß ich Mama muß so allein ziehn lassen, aber ich habe TOTAL kein Geld, und am Ende ist es für Dich und mich wohl eben so angenehm wenn ich im künftigen Jahre mit Werner komme, ihr seyd dann schon in Ruhe an eurem neuen Wohnorte, und ich spiele auch besser die erste Violine bey Dir – liebes Herz, ich hätte Euch so gern allerley geschickt, aber, wie gewöhnlich, ist mir das meiste fehl gegangen, – für deinen lieben Mann hatte ich Hildesheimer Tabak bestellt, und erwartete ihn gestern gewiß, statt dessen kömmt ein Brief vom
Onkel Fritz, »daß es viel klüger war, den Tabak über die Post zu schicken, und dann zwar eine bedeutende Parthie« ET CET, – so saß ich, und hatte nichts! – nichts als diese drey Münzen die Mama in ihrem kleinen Schächtelchen bey den Schmucksachen hat,– die Eine ist von der Insel
COS, die zweyte von CARTHAGO, die dritt mir unbekannt, aber scheint auch griechisch – das sind die drey Einzigen derartigen, die ich habe. Ich wollte es wären hundert, so ist es nur ein PAUVRES Geschenk, aber doch ein kleiner Beytrag zu Laßbergs Sammlung –
Für Dich habe ich schon fast alle meine Sachen, Eins um’s Andre, in der Hand gehabt, aber immer wieder gedacht, du machtest Dir Nichts daraus, weil du es nicht brauchen könntest – so schicke ich denn die Stickerey von der Mertens, damit Du Dir ein Rückenkissen daraus machen kannst – ich denke das nimmst Du doch in Gebrauch – nicht wahr? –
Für die Kinderchen habe ich leider Nichts! wäre ich nur einmahl in Münster gewesen, so hätte ich wohl etwas für sie gefunden, aber mein Zahnweh hat gemacht daß ich nirgends gewesen bin, – Line habe ich überhaubt, seit ich von Eppishausen bin erst Einen Tag gesehen, (denn wie ich von Bonn kam, bekamen wir ja Alle die GRIPPE, und reisten gleich nachher ab) und seit ich von Bökendorf bin, noch gar nicht, kenne auch den neuen kleinen Jungen noch nicht – die guten Strengs grüße doch 1000mal von mir, ich habe Mama einige Kleinigkeiten für sie mitgegeben, wenn Mama es nur nicht vergißt, erinnre sie doch daran, – hör mahl, ich möchte gern die Silbermünzen haben, die der Kaufmann in Bischofzell hat, d.h. zu dem alten Preise, 30 KREUZER PER STÜCK, nun must Du nur ja Onkel Moritz Nichts von den Münzen sagen, sonst kauft er sie selbst, da er auch sammelt, und ich wollte sie sehr gern haben, auch diejenige die ich schon einmahl habe – die wollte ich nämlich selber an Onkel Moritz schenken, weil ich ihm DOUBLETTEN schuldig bin, und gar keine Andre zu kriegen weiß – ihr sollt mir aber nur nicht den Streich machen und dem Onkel etwa selbst von den Münzen schenken! sondern denken daß ich sie jetzt zuerst bestellt habe, – bitte, liebe Jenny, denk daran, – es werden etwa 12—15 – höchstens zwanzig seyn – wegen der Bezahlung werde ich vorerst diejenigen von COOPERS, ET CET Werken, wovon die Rechnung Neujahr kommen wird, bezahlen, und den Rest dir alsdann, entweder mit deiner nächsten PENSION schicken, oder auch diese Werke, wie sie nach und nach heraus kommen, solange bezahlen bis die Schuld gelöscht ist – wie Dir es am Liebsten ist.
Bitte, hebe mir doch mein elfenbeinernes Kruzifixchen und die Mineralien von Eckel gut auf! bis ich sie hohle, – ist die Tyrolerin auch wieder da gewesen? wenn wieder so wohlfeile und hübsche Sachen vorkommen möchte ich wohl etwas davon haben – sie machen hier großen Effeckt, so wie die gläsernen Pantöffelchen, die alle Menschen wie ein schönes anständiges Geschenk von mir angenommen haben –
Ich will jetzt aufhören, liebe Jenny! theils weil das Schreiben mir doch noch sauer wird, und dann auch, weil ich diese letzten Stunden vor der Abreise doch noch gern bey Mama seyn möchte, – ich bin jetzt in Zukunft eure HauptCORRESPONDENTIN, und werde, wie früher Mama, jeden Monat schreiben, entweder an Dich oder an sie, – du sollst sehn, daß ich ganz ordentlich darin seyn werde – vorausgesetzt daß ich nicht wieder von diesem Kopfelend befallen werde; was doch endlich einmahl ein Ende nehmen muß, — ich denke dies wird eine ordentliche Besserung nach meinem homöopathischen Pulver seyn –
ADIEU, liebstes Herz, ich grüße den lieben Laßberg herzlich, die guten kleinen Kinderchen küsse ich vielmals, Röthel soll nicht so hübsch seyn wie Bläuchen? daß glaube ich nimmermehr! grüße die guten Strengs, Imhof, Pauline Gonzenbach, die Jungfer Hauserin, den DECAN, den Pfarrer von SULGEN, alle Bekannte 1000mahl von deiner Nette
Die Amme last dir viele Kumpelmenten[1]Kumpelment: Münsterländer Platt, Bedeutung: höflicher Gruß sagen, und „dat se son schön Kleed kriegen hädde do hädde se son PLASEER an, OVER SE WÜSTE, DAT SE ET NICH MEER VERSCHLEIT, (es ist ein seidnes Kleid, aus dem grünen, was ich mahl vor langen Jahren von Dir gekauft habe) und, SE WULL DAT SE EENE TEIN JOHR JÜNGER WÖR, DANN WULL SE KUMMEN, UN WAAREN DE FRAU VON LATZBERG DE BEIDEN KLEINEN KlNNER“ und auch noch, sie bethete alle Tage für dich – und sie dankte noch VOR ALLE EMPFANGENE WOLDODEN, – sie hat alle ihre Sachen durchgepludert, um den Kindern etwas zu schicken, und kam endlich mit ein paar Bildern dran, ich habe ihr aber gesagt, die Kinder wären noch zu klein für so heilige Bilder – ADIEU, ich schreibe jetzt bald wieder, deine Nette
PS. Mama scheut sich die Glasglocke mitzunehmen, weil das Glas so sehr dünn ist, und sie fürchtet beym Umpacken und hin und herwerfen möchte sie verunglücken, um so mehr, da sie einen kleinen Riß hat, nicht groß, und man würde wahrscheinlich nichts davon sehen, wenn die Glocke über Etwas stände, aber es wird doch wohl machen, daß sie jetzt leichter springt, ich fürchte selbst, wenn sie auch jetzt glücklich überkam, so würde sie doch, bey Eurem Umziehn wieder große Gefahr leiden – kurz – Mama kann sich nicht dazu entschließen; — und wir müssen eine andre Gelegenheit wahr nehmen. Hiebey kömt auch eine Brieftasche von Onkel WILHELMS hinterlassenen Sachen, die die Verwandten unter sich ve(rtheilt) und zu Seelenmessen das Geld verwendet, sie meinten alle, du müstest auch was haben, da habe ich die Brieftasche genommen, – ich habe fast genau dieselbe bekommen, — {Lücke im Ms.} verlange ich nicht wieder, sondern schenke sie dir als Andenken von dem guten Onkel,
↑1 | Kumpelment: Münsterländer Platt, Bedeutung: höflicher Gruß |
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